Buchtipp
 
Die prägenden Erlebnisse eines Alkoholkranken während der ersten zehn Tage
seiner Entziehungskur in einer sozialpsychiatrischen Klinik.

Bittere Erkenntnis

… gib mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann.
Den Mut, Dinge zu ändern,
die ich ändern kann.
Und die Weisheit, das eine
vom anderen zu unterscheiden.

Autor: Horst Christensen
Literareon im
Herbert Utz Verlag GmbH München
ISBN 3-8316-1023-1

Leseprobe 1: Leseprobe 2:
 
  ... "Dieser Mistkerl hat selber Schuld", schreit der Vater außer sich vor Wut. Er fuchtelt wie wild mit der fast leeren Schnapsflasche herum. "Hätte ich ihn nur schärfer angefasst, ihn strenger gehalten, diesen Misthund!" Bei diesen Worten wischt er sich mit der Hand den Schaum aus den Mundwinkeln, mit der anderen greift er den geschmückten Tannenbaum und schleudert ihn mit großer Kraft in die Ofenecke. Erschrocken schreien die Kinder:"Vater, Vater!" Doch der schleudert noch die Schnapsflasche nach dem schon brennenden Tannenbaum. Mit lautem Knall wirft er die Küchentür zu und verschwindet.

Stille im Raum. Nur das Schluchzen der Mutter und das bedrohliche Knistern des brennenden Christbaumes sind zu hören. Mehr instinktiv als überlegt handelnd läuft der Junge in die Küche, holt Wasser und beginnt, den Brand zu löschen. Später dann steht er bei den verkohlten Resten des Baumes und schaut auf Mutter und Geschwister. Mutter hat noch immer den Kopf auf ihren Armen und weint bitterlich. Auch die Geschwister schluchzen leise, verstehen nicht. Der Junge kann nicht weinen, sein Hals ist zugeschnürt. Düster und sehr traurig geht sein Blick in die Runde. Gut, dass keiner ihn ansieht. "Oh, du fröhliche ...", denkt er noch.
 
  Weit, von ganz weit her nehme ich Bewegung wahr. Es ist das Beben meines Körpers. Unheimlich dröhnt alles um mich herum. Mein Körper will jeden Moment auseinander fliegen. Um meinen Hals ist eine Manschette, die sich immer enger zuzieht. Ich bekomme kaum noch Luft. Neeeein! Ein qualfolles Weinen, Lachen oder Schreien platzt aus meinem Inneren. Mein Körper bäumt sich auf und der ungeheuer aufgestaute Druck löst sich aus meinem Leib. Alles geht ganz schnell. Ich entspanne genau so schnell wie ich mich gespannt habe. Ich kann nichts dazu tun, es kommt ohne Befehl, ohne Willen. Tränen fließen in Strömen, sie sind wie Lava, das sich aus dem Berg ergießt. Sie strömen über Wangen, Nasenwurzel, Mundwinkel, Hals, hin zum Kissen. Ich lasse es geschehen. Dann erschlafft mein Körper. Die Zuckungen und das Zittern lassen nach. Nur noch in kleinen Rinnsalen, wie nach einem Regenguss, suchen sich die Tränen ihren Weg in das Kissen. Ich fühle mich so leicht, so leer. Ist das die Erlösung? Lebe ich noch? Bin ich es, bin ich´s nicht?

Irgendwie komisch fühle ich mich. Ich will denken. Zögernd öffne ich die leicht verklebten Augen. Es ist dunkel um mich herum. Ich spüre einen Druck auf meiner Schulter, meinem Kopf. Eine Stimme - ist sie leise oder schreit sie - ruft meinen Namen. Nach einiger Zeit erkenne ich die Stimme von Bernd. Ich sehe ihn nicht. Aus dem Dunkel heraus ruft er: "Na endlich, komm zu dir! Da bist du ja wieder. Soll ich Richard holen? Bleib ruhig, ich hole jemanden." Instinktiv halte ich seine Hand fest. "Bleib hier, es geht schon wieder, bestimmt." Er bleibt, macht auch kein Licht. Ich bin ihm dankbar dafür.

"Was war los, Bernd? Ich dachte schon, jetzt ist es aus", flüstere ich in das Dunkel. "Sei leise! Mach nicht auch noch die anderen wach. Komm nur endlich mal zur Ruhe." "Bernd, ich brauche einen Schnaps, nur einen. Du verstehst das doch, nur einen, der hilft am besten und schnellsten." "Bist du noch zu retten, du Blödmann?" Erschrocken zischt Bernd mich an. "Erst sterben wollen und nun gleich wieder Schnaps, du Idiot! Du weißt doch, was passiert, wenn du auf die Tabletten Alki nimmst. Draufgehen wirst du, jämmerlich krepieren. Wie kann man nur so blöd sein? Jetzt musst du da durch, oder soll ich Richard holen?" Ich halte ihn fest. Er versteht und bleibt. Ich bin froh darüber ...